Klare Kommunikation Soziale Arbeit

Klare Kommunikation schafft Vertrauen: ein Gespräch über Öffentlichkeitsarbeit in der Sozialen Arbeit

Studierende der Sozialen Arbeit haben mich für ein Referat interviewt: Wie kann Öffentlichkeitsarbeit dabei helfen, das Bewusstsein für soziale Themen zu schärfen? Welche Rolle spielen Soziale Medien in der Öffentlichkeitsarbeit von sozialen Organisationen? Ist Öffentlichkeitsarbeit nicht »mehr Schein als Sein«?

Das Interview gibt’s hier zum Nachhören:

Marketing in der Sozialen Arbeit hat zwei wesentliche Aufgaben: Aufmerksamkeit schaffen und Identität stiften. Die erste Funktion liegt darin, Austausch zu ermöglichen – zwischen sozialen Organisationen und Adressat*innen, Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, Marke und Zielgruppen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Aufmerksamkeit in oder außerhalb der Organisation entsteht. Systemtheoretisch gesprochen: Immer, wenn Aufmerksamkeit geweckt wird – oder wir uns Fragen stellen, die darum kreisen –, befinden wir uns im Kommunikationssystem »Marketing«.

Die zweite Funktion besteht in der Differenzierung, also darin, Angebote, Dienstleistungen, Projekte oder Produkte im Wettbewerbsumfeld zu positionieren. »Wenn ich weiß, wer ich bin, weiß ich, was ich sagen will«, resümierte kürzlich eine meiner Workshop-Teilnehmerinnen. Es ging um die Frage, wie eine Jugendhilfe-Organisation ihre Öffentlichkeitsarbeit unter Einbezug aller Beteiligten innerhalb und außerhalb der Organisation stärken kann. Ziel war es, dass Kolleg*innen, ASD-Mitarbeiter*innen, adressierte Familien und die breite Öffentlichkeit ein klares Bild der Jugendhilfe-Organisation entwickeln und es in eigenen Worten wiedergeben können. Systemtheoretisch gesprochen: Immer, wenn es darum geht, wer wir sind und wie sich unsere Identität im Abgleich mit der Umwelt realisiert, befinden wir uns im Kommunikationssystem »Marketing«.

Eine dritte binäre Unterscheidung, die wir für die Frage anlegen können, was Marketing in der Sozialen Arbeit ist, ist »Erfolg / Misserfolg«. Ob Dienstleistungen als erfolgreich bzw. wirksam oder erfolglos bzw. unwirksam bewertet werden, wird ebenfalls im Kommunikationssystem des Marketings ausgehandelt. Denn diese Unterscheidung beeinflusst die Positionierung am Markt – »was erzählen wir, was tragen wir nach außen« – und kann den Fortbestand sozialer Organisationen beeinflussen.

Wenn man es so betrachtet, sind Marketingprinzipien in der Sozialen Arbeit hoch relevant, um die Ziele und Botschaften der Sozialen Arbeit in einer komplexen Umwelt wirksam zu vermitteln . Es geht darum, ob und wie soziale Anliegen Gehör finden.

  • 0:35 – Vorstellung
  • 05:42 – Wieso die Botschaft an erster Stelle steht
  • 08:40 – Wie Öffentlichkeitsarbeit Vertrauen schafft
  • 10:48 – Sich in die Köpfe anderer hinein versetzen
  • 12:35 – Heißt Öffentlichkeitsarbeit, Dinge aufhübschen?
  • 15:38 – Aushandeln, welche Worte wir nutzen
  • 17:17 – Vertreten können, was nach außen getragen wird
  • 18:41 – Wieso die Organisationslogik zur Öffentlichkeitsarbeit gehört
  • 21:21 – Welches Medium passt zu meiner Zielgruppe?
  • 23:00 – Und zu mir?
  • 24:00 – Social-Media-Strategien
  • 25:00 – Tür-und-Angel-Gespräche nicht vergessen
  • 28:25 – Was »vermarkten« wir eigentlich?
  • 31:44 – Phasen der Zielgruppenbindung
  • 35:45 – Suchmaschinenoptimierung
  • 36:45 – Ist Öffentlichkeitsarbeit mehr Schein als Sein?

Und das Transkript des Interviews findest du hier zum Download:

Können wir uns also gemeinsam an Zielgruppen-Bedürfnisse annähern, indem wir die methodische Präzision des Marketings mit einer tiefgreifenden Lebensweltorientierung kombinieren?

Marktforschung vs. partizipative Begleitforschung

  • Beide Disziplinen setzen auf Analyse von Kund*innen-Präferenzen, um Strategien, Dienstleistungen und Interventionen zielgerichtet zu entwickeln.
  • Während das Marketing auf objektive Marktanalysen setzt, betont die Soziale Arbeit die Mitwirkung der Adressat*innen bei Forschungsprozessen.

Consumer Insights vs. Lebensweltorientierung

 

  • Sowohl Marketing als auch Soziale Arbeit analysieren das Verhalten und die Bedürfnisse von Zielgruppen, um ihre Produkte und Dienstleistungen besser anzupassen.
  • In der Sozialen Arbeit geht der Fokus darüber hinaus auf individuelle Lebenswelten und Perspektiven.

Kundenzufriedenheit vs. Compliance

  • Beide Disziplinen messen die Zufriedenheit ihrer Zielgruppen mit Produkten oder Dienstleistungen.
  • Soziale Arbeit stellt über die reine Messung hinaus die Zustimmung der Adressat*innen im Sinne von Selbstbestimmung und Mitwirkung im Vordergrund.

Lean Marketing vs. Wirkungsorientierung

  • Lean Marketing meint das schrittweise Entwickeln von Dienstleistungen, um Ressourcen effizient zu nutzen und sich für maximale Wirkung auf wesentliche Elemente zu konzentrieren.
  • In der Sozialen Arbeit ist die Bestrebung, sich auf nachweisbare und positive Auswirkungen auf die Lebenssituation der Adressat*innen auszurichten.

Change Branding vs. Partizipation

  • Beide Bereiche streben Veränderungen der eigenen (Marken-) Identität durch aktives Involvieren die Zielgruppen an.
  • In der Sozialen Arbeit werden Adressat*innen in den Prozess der Veränderung und Weiterentwicklung einbezogen, um ihre Bedürfnisse besser zu berücksichtigen. Im Marketing geht es eher um Anpassungen, um den Kontakt zu Zielgruppen zu erhalten.

User Generated Content vs. Erfahrungswissen

  • Das Schaffen von Inhalten durch Nutzer oder die Nutzung des Erfahrungswissens der Adressat*innen fördert Authentizität und Interaktion.
  • Während im Marketing Nutzer*innen Inhalte schaffen und Markenbotschaften verbreiten, nutzt die Soziale Arbeit das Erfahrungswissen der Adressat*innen, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und Empowerment zu ermöglichen.

Influencer*innen vs. Multiplikator*innen

  • Der Aufbau von Follower*innen-Netzwerken ist im Marketing zentral und zielt auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung.
  • Soziale Arbeit bindet Personen im Umfeld der Adressat*innen als Multiplikatoren ein, um positive Veränderungen zu fördern und Hilfsangebote bekannt zu machen.

Markenguthaben vs. Vertrauen

  • Der Aufbau von positivem Image und Vertrauen spielt in beiden Disziplinen eine entscheidende Rolle.
  • Während das Marketing durch konsistente Kommunikation auf den Aufbau eines positiven Markenimages abzielt, konzentriert sich die Soziale Arbeit auf offene Kommunikation und verlässliche Unterstützung.

Gelebte Markenwerte vs. professionelle Haltung

  • Ganzheitliches Marketing integriert definierte Markenwerte in alle Aspekte der Organisation.
  • In der Sozialen Arbeit werden ethische und professionelle Werte der Sozialen Arbeit in die tägliche Praxis und Entscheidungsfindung inkorporiert.

Perpetua Schmid und Axel Olaf Kern zeigen anhand einer Untersuchung in der stationären Suchtkrankenhilfe, wie marketingbedingte Vorteile in der Sozialwirtschaft entstehen können (vgl. Schmid Perpetua; Kern, Axel Olaf, 2016):

  1. Soziale Organisationen sind durch Kund*innen-Orientierung gefordert, sich ihrer speziellen Kompetenzen und Besonderheiten (Alleinstellungsmerkmale) bewusst zu werden.
  2. So können diese mit den Wünschen und Bedürfnissen der Adressat*innen abgeglichen werden.
  3. Das Bewusstsein für die Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse der Adressat*innen, ihrer Angehörigen und zuweisenden Fachkräften gelangt so stärker in Entscheidungsprozesse von sozialen Organisationen.
  4. So wird das persönliche und professionelle Betroffen-Sein von bio-psycho-sozialen Problemlagen zur Richtschnur für das Handeln.
  5. Wenn Kernkompetenzen und Konzepte klar benannt werden, können Hilfeangebote gezielter und passgenauer ausgewählt werden.
  6. Durch ein gutes »Matching« steigt die Zufriedenheit und Compliance von Adressat*innen – und damit die Erfolgs- und Wirkungswahrscheinlichkeit Sozialer Arbeit.
  7. Das kann auch wirtschaftlich vorteilhaft sein, weil weniger Aufwand durch Sonderbetreuungsaufgaben entsteht.
  8. Vor allem aber hilft erfolgreiche und wirkungsvolle Soziale Arbeit, dem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden – Menschen befähigen, ihr Leben selbstbestimmt zu führen.

Ach, und übrigens: Wer wirkungsvoll arbeiten kann, zieht mehr Zufriedenheit aus seiner Arbeit, bleibt gesünder – und der*dem Arbeitgeber länger erhalten.

Auch das ist eine wichtige Erkenntnis, die wir vom Marketing lernen können: Wie stark eine »Marke« ist, bedingt sich nicht nur durch das Wissen, sondern vor allem durch die Gefühle und das Vertrauen, das Menschen ihr entgegenbringen.

Warum stehst du morgens auf? Ist es der Wecker, sind es die Verpflichtungen – oder … ? Was müsstet ihr tun, um eure Organisation zu zerstören? Warum würdest du zur Arbeit gehen, wenn du im Lotto gewonnen hast? Der so genannte Purpose gibt Antwort auf die Frage: »Warum gibt es uns?«

In der Sozialen Arbeit spielt die Förderung von Resilienz eine zentrale Rolle. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit von Menschen, Krisen zu bewältigen und gestärkt aus schwierigen Situationen hervorzugehen. Eine starke Markenidentität kann einen ähnlichen Effekt haben, indem sie Organisationen in der Sozialen Arbeit widerstandsfähiger gegenüber äußeren Herausforderungen macht.

Im Marketing sind klare Botschaften wichtiger als Botschaften, die alle »mitnehmen«.

Beispiele:

  • Gemeinsam gestalten wir Umgebungen, die Veränderungen bewirken
  • Wir schaffen Verbindungen, die Gemeinschaft stärken
  • Jeder Mensch verdient die Freiheit, sein eigenes Leben zu gestalten
  • Veränderung beginnt damit, Verantwortung zu übernehmen
  • Vielfalt ist unsere Stärke, Respekt unser Fundament

Ähnlich wie die Professionalität in der direkten Arbeit mit Menschen repräsentiert die Markenidentität einen dynamischen Ausdruck von Werten, Zielen und Handlungen, die sich konkret auf das tägliche Leben der Gemeinschaft auswirken.

Ausdruck von Werten und Ethik:

  • Die Markenidentität spiegelt die Kernwerte einer Organisation wider, die nicht nur proklamiert, sondern in jeder Aktion und Interaktion verkörpert werden.
  • In der Sozialen Arbeit bedeutet Professionalität, ethische Standards hochzuhalten und Handlungen im Einklang mit den grundlegenden Werten des Dienstes an der Gemeinschaft zu setzen.

Authentizität und Glaubwürdigkeit:

  • Eine authentische Markenidentität schafft Glaubwürdigkeit, indem sie Konsistenz zwischen Versprechen und Handlungen aufrechterhält.
  • Glaubwürdigkeit in der direkten Arbeit mit Menschen erfordert, dass Fachkräfte ihre Verpflichtungen ernst nehmen und ihre Versprechen gegenüber den Klienten halten.

Kohärenz und Einheitlichkeit:

  • Die Markenidentität sorgt für Einheitlichkeit in der Kommunikation und im Erscheinungsbild, um eine klare Botschaft zu vermitteln.
  • In der Sozialen Arbeit bedeutet Kohärenz, dass Fachkräfte konsistente und koordinierte Unterstützung bieten, die auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten ist.

Kundenorientierung und Empathie:

  • Eine starke Markenidentität berücksichtigt die Bedürfnisse und Erwartungen der Zielgruppe und zeigt Empathie für ihre Anliegen.
  • In der direkten Arbeit mit Menschen erfordert Empathie, dass Fachkräfte sich einfühlsam auf die Bedürfnisse und Herausforderungen ihrer Klienten einlassen und darauf reagieren.

Ähnlich wie die Professionalität in der direkten Arbeit mit Menschen repräsentiert die Markenidentität einen lebendigen Ausdruck von Werten, Ethik und Handlungen. Die Parallelen zeigen: Wir brauchen klare Wertversprechen und einer starke Verbindung zu individuellen Bedürfnissen, um positive Veränderungen in der Lebenswelt der Menschen zu bewirken.

Das Magazin für Soziale Arbeit, Marketing und Sprache

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